Wo sind die reflektierten Innovatoren?

Ja wo sind diejenigen, die langfristig und nachhaltig denken und zugleich innovativ sind? Diejenigen, die uns die Zukunft weisen und uns zugleich als diejenigen wahrnehmen, die wir sind? Wie weit weg ist eigentlich das Silicon-Valley und wie sehr liegt heute in der Vergangenheit?

TL;DR

  • Innovation fußt auf Mut und Ruhelosigkeit
  • Reflektiertheit bzw. Reife fußt demgegenüber auf Überlegtkeit
  • Innovation bedarf es an Reflexion, um verständlich und nachhaltig zu sein
  • Wie geht das zusammen?

Innovation auf Biegen und Brechen?

Immer wieder hören wir von Morgen und davon, welche neuen Entdeckungen uns das Leben leichter machen werden. Doch welcher Innovationstreiber wägt zwischen vereinfachen und verkomplizieren ab? Freilich hat der Computer mittlerweile Einzug in unser aller Privatleben gehalten (zumindest gehe ich bei Ihnen davon aus, da Sie diesen Beitrag lesen). Doch was tun mit den Nutzern, die im hohen Alter keinen Zugang zum überdimensionierten Abakus erhalten haben oder denen, die auch in jungen Jahren nicht verstehen, wie das Ding funktioniert oder warum es mal nicht das tut, was es soll?

Wer trägt die Verantwortung, wenn etwas nicht so funktioniert, wie gedacht?

Oft höre ich in diesem Zusammenhang: „ich verstehe das nicht, ich bin zu dumm dazu“. Doch wer hat sich hier eigentlich Vorwürfe zu machen? Natürlich darf der Entwickler von Hardware oder Software dem Nutzer ein gewisses Maß an Intelligenz voraussetzen. Wenn Fehlermeldungen und Fehlverhalten jedoch eingehendes Verständnis der Funktion des Geräts erfordern, so ist meiner Meinung nach, der Erfinder nicht aus der Verantwortung zu ziehen.

Welcher nicht-Informatiker kann mir die folgenden Fragen beantworten?

  • Warum erhält der Empfänger meine E-Mails plötzlich mehrfach? Ich habe nur meinen Computer neu installiert.
  • Wozu benötige ich heute diese neue Internetbox, ohne die ich bei der Telekom gekündigt werde? Und warum macht die Telekom so viel Druck?
  • Warum ploppt immer eine Fehlermeldung auf bzw. warum stürzt mein Entpackprogamm ab, wenn ich aus dem Dateianhang einer E-Mail direkt diese eine RAR-Datei öffnen will? Das E-Mail-Programm zeigt dazu irgenwas von 15MB an.
  • Warum bekomme ich Spam-Mails?
  • Wie lege ich auf meinem Smartphone einen Ordner in der Galerie an?
  • Was ist der Unterschied zwischen den Programmen von meinem alten Windows-PC und diesen jetzt überall auftauchenden „Apps“?
  • Warum passiert nichts, wenn ich auf „Drucken“ klicke?
  • usw …

Fehlt es dem Nutzer an Vorstellungskraft?

Ich denke, diese Liste lässt sich unendlich fortsetzen. Alle Fragen haben eins gemeinsam: Diese oder ähnliche Fälle kennt (und das behaupte ich jetzt einfach mal) jeder Computer- bzw. Smartphonenutzer. Die Fragen selbst haben nichts mit wissenschaftlicher Informatik zu tun. Man sollte im klassischen Sinn meinen, dass jeder das Werkzeug kennt, dass er verwendet. Nur ist ein Computer eben kein Schraubenzieher mit einer klar erkennbaren Form und direkt abzuleitenden Funktion.

Stelle dir dazu einen Aufbau vor, in dem ein Computer (natürlich über ein Kabel und eine entsprechende Elektronik inklusive Motor) an eine Mechanik angebunden ist, die eine Halterung dreht, in der ein Schraubenzieher befestigt ist. Im Wesentlichen ergeben sich also drei wesentliche am Aufbau beteiligte Komponenten: Die Mechanik, die Elektronik und der Computer.

Der Computer kann die Mechanik ansteuern, den Schraubenzieher zu drehen. Dieser wird sich willenlos drehen und nichts anderes tun, sofern dies nicht auf physikalische Weise manipuliert wird oder die Mechanik bzw. Elektronik Defekte aufweist. Andersherum kann ein Computerprogramm die Drehung der Mechanik über die angeschlossene Elektronik abgreifen und auswerten. Die Elektronik kann durch Stromschwankungen oder andere elektrische Fehler oder andere physische Einflüsse oder Manipulationen anders, als erdacht, reagieren. Doch wer kann bei Anwesenheit eines „Aufpassers“ für den Computer ein fehlerfreies verhalten garantieren? Zu diesem kommen neben den physischen Einflüssen programmiertechnische hinzu, denn nicht alle Einbrüche in bzw. Manipulationen an der Software werden erkannt. Damit ergibt sich eine Art Treppe der Komplexität ausgehend von der Mechanik über die Elektronik hin zum Computer.

Um diesen Beitrag nicht unnötig zu verkomplizieren, mache ich hier einen Schnitt bei der Auswertung des Versuchsaufbaus. Ich möchte an dieser Stelle nicht behaupten, dass dieser vollständig ist, es handelt sich schließlich nur um ein Modell und jedes Modell hat Lücken. Im Wesentlichen möchte ich dennoch zum Ausdruck bringen, dass der Computer eine Komplexität inne hat, die von einem einfachen Anwender und auch nicht von einem einzelnen Experten durchdrungen werden kann.

Wer entwickelt verständliche und nachhaltige Innovationen?

Das Paradoxon wird komplett, wenn man populäre Innovationen betrachtet. Der Computer selbst erscheint dabei als Inbegriff der Innovation. Welches Ding hat noch morgen eine Chance auf dem Markt, wenn es keinen Stromstecker und keine Platine besitzt, auf der Bits und Bytes umhergeschubst werden. Wo sind die reflektierten Innovatoren, die das Produkt von morgen entwickeln, welches der Mensch versteht?*

* … und nicht eines, das versucht den Menschen zu verstehen

Risiken der ökonomisierten Serendipität

Wenn der Zufall für wirtschaftliche Interessen instrumentalisiert wird und wir uns darauf einlassen, wird uns ein Stück unserer Selbst genommen.

TL;DR

  • es gibt (persönliche) Wertschöpfungen aus Zufällen – die Serendipität
  • Unternehmen, wie Google „ökonomisieren den Zufall“ – er ist nun gemünzt auf einen Nutzer und nicht mehr völlig zufällig
  • Ein nicht mehr gänzlich zufälliger Zufall begrenzt unseren Horizont

Was ist Serendipität?

Serendipität ist die (persönliche) Wertschöpfung aus dem Zufall. So kurz erklärt klingt der Begriff, den ich im Rahmen der Recherchen zu meiner Masterarbeit entdeckte, sicherlich noch etwas kryptisch. Also ein Beispiel:

Ein Buchliebhaber geht gern in Bücherläden, um sich Bücher zu kaufen, das ist klar. An Tagen, an denen er mehr Zeit mitbringt stöbert er durch die Regale, um „Schätze“ ausfindig zu machen. Sobald er zwischen der schier endlosen Zahl an Buchrücken und -covern ein Buch entdeckt welches er schon immer gesucht hat, um die Lücke in der heimischen Bibliothek zu füllen, die dort schon seit Jahren klafft, hat die Serendipität zugeschlagen.

Serendipität ist damit ein entscheidender Bestandteil von Subjektivität, er zeichnet jeden einzelnen Menschen, wen auch in einer unterschwelligen Art und Weise, aus. Ohne Serendipität würde sich sicherlich auch kein Liebespaar finden.

Im Rahmen der Erwachsenenbildung träumt sicherlich jeder Erwachsenenbildner von einem solchen Effekt, der sich in einer Art positiver Irritation niederschlägt und Begeisterung beim Teilnehmer auslöst.

Die Ökonomisierung der Serendipität

Nun ist es leider so, dass der wunderbare Zufall durch diverse technologische Entwicklungen wie eine Goldgrube versucht wird auszubeuten. „I actually think most people don’t want Google to answer their questions, […] They want Google to tell them what they should be doing next“  (vgl. Holman 2010). Es soll nun nicht mehr alleinig auf dem Zufall beruhen, das passende Suchergebnis auf Google zu erhalten. Ich bin mal gespannt, wie lang der „Google-Suche“-Button noch erhalten bleibt, bis er vollständig durch den „direkt zur gesuchten Seite weiterleiten“-Button ersetzt wird. Dafür sind jede Menge Informationen erforderlich, die Google bereits heute beginnt zu akqurieren. Damit könnte auch Amazon bereits vor dem Klick auf „Kaufen“, beginnen binnen 30 Minuten die Waren auszuliefern (vgl. Menn 2013). Jedenfalls wird durch das „Mitdenken“ der Suchmaschine das Sichtfeld für den Suchenden stark eingeschränkt, was Eli Pariser mit „Filter-Bubble“ betitelt (vgl. Pariser 2012). Es werden nur noch Fundstücke angezeigt, die dem Suchenden potentiell wertvoll sein könnten. Bereits heute erhalten zwei verschiedene Personen (vorausgesetzt selbstverständlich an verschiedenen WAN-Adressen zur Trennung der zugeordneten Suchverhalten) unterschiedliche Suchergebnisse des Suchanbieters Google.

Wie Pariser bereits ausführt, und Stampfl (vgl. Stampfl 2013) weiter denkt, führt eine solche individualisierte Informationsbasis zu getrennten Welten der Wahrnehmung. Und die Serendipität geht im wahrsten Sinne des Wortes baden, wenn der Zufall kein Zufall mehr ist, sondern vielmehr ein Spielzeug der nach hohen Gewinnen lechzenden Unternehmen.

Holman, W. Jenkins Jr. (2010). „Google and the Search for the Future“. In: The Wall Street
Journal. zuletzt abgerufen am 10.06.2015. URL : http://www.wsj.com/articles/SB10001424052748704901104575423294099527212

Menn, Andreas und Meike Lorenzen (2013). „Wie realistisch Amazons Drohnenflug ist„. In: Golem.de. zuletzt abgerufen am 09.07.2015. URL: http://www.golem.de/news/amazon-prime-air-wie-realistisch-amazons-drohnenflug-wirklich-ist-1312-103082.html

Pariser, Eli (2012). Filter Bubble : wie wir im Internet entmündigt werden. München: Hanser. ISBN : 978-3-446-43034-1.

Stampfl, Nora S. (2013). Die Berechnete Welt: Leben unter dem Einfluss von Algorithmen. Hannover: Heise. ISBN : 978-3-944099-03-3